Al-Istidaamah (الاستدامة) – Nachhaltigkeit, Umwelt- und Tierschutz im Islam

Meist ist eine Artikelanfrage ein Reiseticket in einen ungeplanten Ausflug für den Autor, der auch zum Abenteuer werden kann. Der verlangte Reisebericht muss aber auch bodenständig sein – gerade in der Ära Wikipedias und Googles… . Fangen wir also zur Absicherung mit der Definition von Nachhaltigkeit an. Der Duden definiert Nachhaltigkeit wie folgt:

  1. längere Zeit anhaltende Wirkung
  2. A) (Forstwirtschaft) forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann
  3. B) (Ökologie) Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.1

 

Wir wollen uns auf die islamische Perspektive auf die letztgenannte, umfassende Bedeutung des Wortes konzentrieren. Ist dieses Konzept im Islam neu? Vom Herzen her müssen wir einfachen Muslime erst einmal zurückweisen, dass so etwas wohl Klingendes wie Nachhaltigkeit nicht im Islam verwurzelt ist. In der Wissenschaftssprache des Islam, also im Arabischen, hat sich jedoch kein aus dem Quran oder der Sunna einschlägig verwendetes Wort gebildet. Al-Istidaamah2 الاستدامة ist hingegen das gebrauchte Fachwort. Doch auch das für Muslime zentrale Wort Aqiedah ist keines, was in diesem Zusammenhang im Quran oder in der Sunna erwähnt ist. Vielmehr ist es später im Rahmen der Verwissenschaftlichung der islamischen Lehre entstanden. Zuvor war der Islam gelebte Realität ohne ent-wickelte, jedoch mit strukturell angelegter Wissenschaft. Heute ist es tendenziell umgekehrt, viel Theologie aber wenig Gott-Verbundenheit – aber wir sind auf dem Weg, positiv denken!

Das Prinzip, nicht mehr zu verbrauchen als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann, ist dennoch deutlich im Quran verankert:

 

وَلا تُبَذِّرْ تَبْذِيراً إِنَّ الْمُبَذِّرِينَ كَانُوا إِخْوَانَ الشَّيَاطِينِ وَكَانَ الشَّيْطَانُ لِرَبِّهِ كَفُوراً

Und handle nicht verschwenderisch. Gewiss, die Verschwender sind die Brüder der Satane; und der Satan ist gegenüber seinem Herrn sehr undankbar.(17:26-27)

 

Die aus meiner bescheidenen Perspektive adäquateste quranbasierte Wiedergabe von Nachhaltigkeit ist jedoch aufbauend auf dem im Quran zentral verwendeten Wort الإسراف, der Begriff اللااسراف; also Das Nicht-Verschwenden.
Schauen wir uns an, in welchen Zusammenhängen الإسراف im Quran u.a. erwähnt wird:

Erstens im Sinne von der Überschreitung des gebotenen Maßes:

وَكُلُوا وَاشْرَبُوا وَلا تُسْرِفُوا إِنَّهُ لا يُحِبُّ الْمُسْرِفِينَ

…esst und trinkt, aber seid nicht maßlos! – Er (Allah) liebt nicht die Maßlosen.(7:31)

Al-Baghawiy, der berühmte Quran-Kommentator, erläutert, dass dies mit einschließt, das Erlaubte zu verbieten wie auch das Verbotene zu erlauben.

 

كُلُوا مِنْ ثَمَرِهِ إِذَا أَثْمَرَ وَآتُوا حَقَّهُ يَوْمَ حَصَادِهِ وَلا تُسْرِفُوا إِنَّهُ لا يُحِبُّ الْمُسْرِفِينَ

Esst von ihren Früchten‘, wenn sie Früchte tragen, und entrichtet am Tag ihrer Ernte ihre(n) Pflicht (-anteil, der darauf steht), doch seid nicht maßlos! – Er liebt nicht die Maßlosen.(6:141)

At- Tabary (r) erläutert diesen Vers damit, dass er jegliche Verschwendung verbietet. Ibn Kathier (r) bestätigt ihn hierin, auch wenn er darauf hinweist, dass der Wortlaut sich auf die Nahrung bezieht.

 

Interessanter- wie auch warnender Weise bezeichnet الإسراف im Quran auch die Beigesellung:

 

وَأَنَّ الْمُسْرِفِينَ هُمْ أَصْحَابُ النَّارِ

…und dass die Maßlosen Insassen des (Höllen)feuers sein werden.(40:43)

وَإِنَّ فِرْعَوْنَ لَعَالٍ فِي الأَرْضِ وَإِنَّهُ لَمِنْ الْمُسْرِفِينَ

Fir’aun (Pharao) war ja überheblich im Land und gehörte wahrlich zu den Maßlosen.(10:83)

 

Die klassischen Quran-Erläuterer Al-Qurtuby, At- Tabary und Al-Baghawy kommentierten diesen Vers dahingehend, dass Al-Israaf الإسراف im Quran in diesem Vers im Sinne von verboten Verwendung findet:

فَإِنْ آنَسْتُمْ مِنْهُمْ رُشْداً فَادْفَعُوا إِلَيْهِمْ أَمْوَالَهُمْ وَلا تَأْكُلُوهَا إِسْرَافاً وَبِدَاراً

Und wenn ihr dann an ihnen Besonnenheit feststellt, so händigt ihnen ihren Besitz aus. Und verzehrt ihn nicht maßlos…(4:6)

 

Weiterhin ist Al-Israaf الإسراف im Wort Gottes im Sinne von sündhaftes Ausgeben erwähnt:

وَالَّذِينَ إِذَا أَنفَقُوا لَمْ يُسْرِفُوا وَلَمْ يَقْتُرُوا وَكَانَ بَيْنَ ذَلِكَ قَوَاماً

Und diejenigen, die, wenn sie ausgeben, weder maßlos noch knauserig sind, sondern den Mittelweg dazwischen (einhalten).(25:67)

 

Nach At-Tabary (r) kommentierte Ibn Abbas (ra) diesen Vers damit, dass es die wahrhaft Gläubigen sind, die nicht maßlos vermögen aufwenden, indem sie es für Sünden ausgeben.

 

Zusammenfassend, so kreisen alle Verwendungen des Wortes الإسراف im Quran um das Konzept, etwas anders als geboten eingesetzt und gegebene Grenzen überschritten zu haben – wobei nicht alle Verwendungszusammenhänge in diesem Artikel thematisiert wurden.

 

Aus meiner Sicht ist es von Vorteil den Begriff  اللااسراف zu verwenden, denn er ist aufgrund seiner religiösen Prägung erziehend. Wer, wenn er Überschuss hat, verschwendet nicht gerne? Umgekehrte, wer ist nicht faul, so dass er über Passivität zur Verschwendung beiträgt?

Persönlich beispielsweise trenne ich nicht den Restmüll von den Verpackungen und dem Bio-Müll, weil, mir die Fruchtfliegen auf die Nerven gehen. Und weil es immer so ein Akt ist, die kleinen Tüten aus dem vollgestopften Eimer zu entfernen. Aber nun, wo ich bereits an diesem Artikel schreibe, gelobe ich Besserung! Schließlich ist es nun auch Gottesdienst…und nicht nur nerviger Zeitgeist.

Widmen wir uns nun Konsequenzen aus dem Prinzip – und für Muslime – Gebot der Nachhaltigkeit: Dem Umwelt- und Tierschutz.

Islam und Umwelt- und Tierschutz

Der Umwelt- und Tierschutz ist im Islam und in seinen Urquellen fest verankert. Einerseits wird er direkt angesprochen und zum anderen lässt er sich aus im Islam feststehenden Prinzipien ableiten. Zu diesen Prinzipien zählen das Prinzip der Gerechtigkeit, der Ausgewogenheit sowie das der Barmherzigkeit. Wir wenden unsere Aufmerksamkeit zunächst den Quellen zu, welche den Umwelt- und Tierschutz direkt thematisieren.

Zunächst einmal werden die Menschen im Koran angesprochen, dass alle Lebewesen Gemeinschaften bilden, die Gott preisen – es ist jedoch der Mensch, der sich hierzu bewusst entschließen kann. Wer sich als Teil eines Ganzen fühlt, wird nicht andere Teile des Ganzen angreifen, da dies als Angriff auf sich selbst gewertet werden würde.

Die sieben Himmel und die Erde und alle darin lobpreisen Ihn; und es gibt nichts, was Seine Herrlichkeit nicht preist; ihr aber versteht deren Lobpreisung nicht…(Quran 17:44)

Es gibt kein Getier auf Erden und keinen Vogel, der auf seinen zwei Schwingen dahinfliegt, die nicht Gemeinschaften wären so wie ihr…(Quran 6:38)

Der Prophet Muhammed (saw) wurde gefragt.

O Gesandter Gottes, gibt es einen Lohn dafür, wenn man gut zu Tieren ist?“ Der Prophet Muhammed (saw) antwortete: „Es gibt einen Lohn für jedes lebendige Wesen, dem Gutes getan wird.(Bukhari & Muslim)

Unter den Eigenschaften die Gott tadelnd im Koran erwähnt, zählt die Zerstörung des Ackerlandes, wie auch die Gefährdung der Nachkommenschaft:

…wenn er sich abwendet, bemüht er sich, überall auf der Erde Unheil zu stiften, und vernichtet das Ackerland und die Nachkommenschaft. Und Gott liebt das Unheil nicht.(Quran 2:205)

Der Gesandte Allahs (saw) sagte: „Allah hat euch befohlen, zu jedem gütig zu sein. Wenn ihr also schlachtet, so schlachtet sanft. Wenn einer von euch ein Tier zu schlachten hat, so soll er zuerst seine Klinge schärfen und das Tier gut beruhigen.“

Ibn Abbas (ra) erzählt, dass ein Mann eine Ziege auf die Seite legte und dann sein Messer zu schärfen begann. Als der Prophet (saw) dies sah, sagte er:

Willst du sie zwei Mal töten? Warum hast du dein Messer nicht geschärft, bevor du sie auf die Seite legtest?Ibn Abbas (ra)

Diese Erziehung hatte ihre Wirkung auf die Prophetengefährten: Umar (ra), der zweite Khalif (ra), sagte:

Bei Dem, der Mohammed (saw) mit der Wahrheit entsandte, wenn ein Kamel an den Ufern des Euphrats umkäme, so würde ich fürchten, dass Gott mich dafür zur Rechenschaft ziehen würde. (Tabari 14: 105 – 106)

 

Die Umwelt ist im Quran als Mittel zum Lebensunterhalt erwähnt und muss folglich erhalten werden

Und die Erde haben Wir ausgedehnt und darauf feste Berge gesetzt, und Wir ließen alles auf ihr wachsen, was ausgewogen ist. Und Wir schufen darauf Mittel zu eurem Unterhalt und zum Unterhalt derer, die ihr nicht versorgt.(15:19-20)

Er ist es, Der für euch alles, was auf der Erde ist, erschuf.(2:30)

Der Prophet Muhammad (saw) erwähnte den Zusammenhang zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen und förderte diesen mit den Worten:

Wenn ein Muslim einen Baum pflanzt oder einen Acker besät, und ein Mensch, ein Vogel oder ein Tier isst davon, so wird es von ihm als ein Almosen anerkannt.(Sahieh Al-Bukhari, Sahieh Muslim)

Die Einstellung des Islam bezüglich der Landwirtschaft erläuterte Ali ibn Abi Talib (ra), der  vierte Khalif, einem Mann, der aufgegebenes Land bebaut und urbar gemacht hatte:

Habe glücklichen Anteil daran, solange du ein Bringer von Nutzen bist, kein Plünderer; ein Kultivierer, kein Zerstörer.(Yahya ibn Adam al-Qurashi in Kitab al-Kharaj)

Über die Prinzipien der Gerechtigkeit, Ausgewogenheit, Barmherzigkeit halten der Quran wie auch der Prophet Muhammad (saw) folgendes fest:

Gerechtigkeit

Wehe den das Maß Kürzenden, die, wenn sie sich von den Menschen zumessen lassen, sich volles Maß geben lassen, wenn sie ihnen aber zumessen oder wägen, Verlust zufügen. Glauben jene nicht, dass sie auferweckt werden zu einem gewaltigen Tag, am Tag, da die Menschen sich um des Herrn der Weltenbewohner willen aufstellen werden?(83:1-6)

Und aus euch soll eine Gemeinde werden, die zum Guten einlädt und das gebietet, was Rechtens ist, und das Unrecht verbietet; und diese sind die Erfolgreichen.(3:104)

Über das Verbot von Ressourcenverschwendung

Es wird berichtet, dass der Prophet (saw) an seinem Gefährten Sad vorbeikam, der sich zum Gebet wusch und sagte:

Was ist das für eine Vergeudung, oh Sad?“ „Gibt es sogar Vergeudung, wenn man sich zum Gebet wäscht?” fragte Sad, und er sagte: „Ja, sogar wenn du an einem fließenden Fluss bist.(Ibn Majah.)

 

Der Prophet Muhammed (saw) sagte:

Es soll keinen Schaden und keine Zufügung von Schaden geben.(Al-Hakim)

Barmherzigkeit als umfassende Philosophie

Der Prophet Muhammed (saw) wird durch den Quran als

…Barmherzigkeit für alle Welten…(Quran 21:107)

 beschrieben.

Helft einander zur Güte und Gottesfurcht, aber helft einander nicht zur Sünde und feindseligem Vorgehen, und fürchtet Allah! Allah ist streng im Bestrafen.(5:2)

Umweltzerstörung ist letztlich die Folge dessen, dass sich Menschen von göttlichen Prinzipien abwenden:

Sichtbar ist das Unheil an Land und auf dem Meer infolge der üblen Taten, die die Menschen begangen haben. Gott lässt sie auf Erden etwas von den Folgen ihrer Werke erleiden, auf dass sie reumütig davon ablassen.(29:41)

Mitten im Feld der muslimischen Wirtschaftsethik, liegt mir auf dem Herzen, dass Halal-Siegel und Zertifizierungen nicht alles sind, sondern wir darüber hinaus auch verpflichtet sind, auf die Unternehmenspolitik der Konzerne in unsere Kaufentscheidungen mit einzubeziehen. Wie können wir bspw. Unternehmen beehren, die Konzentrationslager-Mitarbeiter willentlich versorgen? Dass „Konzentrationslager“ als Begriff für Guantanamo von der Regierung Kubas wie auch von zwei amerikanischen Juristenvereinigungen verwendet wird, ist wohl nach der Feststellung derartiger Rechtlosigkeit der Gefangenen und der Foltermöglichkeiten der Aufseher bzw. der Vernehmungsbeamten nicht als übertrieben zu betrachten. vgl.3

 

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(AFP, in: http://www.arabnews.com/news/560861 (zuletzt abgerufen am 01.10.2014)

Und auch wenn Unternehmen gemäß Werten wie Nachhaltigkeit wirtschaften sowie ethisch-politisch erst einmal korrekt wirtschaften, so bleibt die Frage immer noch zu klären, ob das Produkt ein hochwertig qualitatives ist.  Allgemein spricht der Preophet Muhammad (saw) Qualitätsgebot mit den folgenden Worten an:

Allah liebt, wenn einer von euch etwas tut, dass er es auf beste Weise vollzieht.(Abu Yala)

Ebenso im Speziellen in Bezug auf Nahrung befiehlt der Quran Hochwertigkeit an:

Esst von den guten Dingen, mit denen Wir euch versorgt haben.(20:81-82)

…er soll sehen, welche ihre reinste Speise ist, und euch davon eine Versorgung bringen…(18:19)

Fazit

Als Muslime können wir quellentreu folgenden Grundsatz festhalten:

„Verantwortung vor Gott, den Mitmenschen und den anderen Lebewesen, hat der Mensch den Erwerb vom Lebensunterhalt und die Kultivierung der Erde gemäß den Geboten der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Nachhaltigkeit zu betreiben. Dabei ist der Umwelt- und Tierschutz sowohl Mittel zum Zweck als auch Ziel an sich.“

In diesem Zusammenhang seien auch die Worte Ibn Al-Qayyims (r) an dieser Stelle abschließend aufgeführt:

Die Basis und das Fundament der Scharia bestehen aus der Weisheit und dem Nutzen der Diener im Dies –und Jenseits. Sie ist in jeder Hinsicht Gerechtigkeit, Güte, Nutzen und Weisheit. Jede Rechtsfrage, welche die Gerechtigkeit zum Unrecht, die Güte zu ihrem Gegenteil, den Nutzen zum Verderbnis und die Weisheit zur Sinnlosigkeit verlässt, gehört nicht zur Scharia, selbst wenn sie ihr durch Interpretation zugeschrieben wurde. Die Scharia ist die Gerechtigkeit Allahs unter seinen Dienern, Seine Barmherzigkeit gegenüber Seinen Geschöpfen, Sein Schatten auf Seiner Erde und Seine Weisheit, welche auf Ihn und auf die Wahrhaftigkeit Seines Gesandten (saw) in vollkommener und bester Weise hindeutet.Ibn Al-Qayyims (r)

 ((إعلام الموقعين 3/3))

 

 

  1. Bibliographisches Institut GmbH: Duden: Nachhaltigkeit. http://www.duden.de/node/658572/revisions/1337271/view (zuletzt abgerufen am 30.09.2014 []
  2. http://ar.wikipedia.org/w/index.php?title=%D8%A7%D8%B3%D8%AA%D8%AF%D8%A7%D9%85%D8%A9&oldid=12470307 (zuletzt abgerufen am 30.09.2014). []
  3. Schultz, Eberhard: ebd. S. 22 []