Schaikh Faisal Maulawi (r)
FÜNFTENS: Leute des Einblicks müssen dem Beleg folgen.
Für diejenigen, welche die Stufe erreicht haben, Einblick in die islamrechtlichen Schari´a- Normen zu nehmen, ist es verpflichtend, den Belegen in all den Angelegenheiten zu folgen, welche sie in die Tiefe gehend studiert haben und folglich die Belege der einzelnen Meinungen zum Thema umfassend verstehen. Diese Personen müssen dann die Meinung bevorzugen, die ihnen am nächsten zum Buche Allahs und der Sunna des Gesandten – möge Allāh ihn segnen und ihm Frieden schenken! (saw) scheinen. Dies gilt auch, wenn diese Personengruppe dabei von verschiedenen Imamen Auffassungen annimmt oder sogar selber Idschtihaad innerhalb von neuen Angelegenheiten betreibt. Trotz diesem sei jedoch angemerkt, dass kein islamrechtlicher Beleg dafür vorhanden ist, der verbieten würde, dass der befolgende Muslim dieser Stufe weiterhin einer einzigen Rechtsschule angehört, bis er die Möglichkeit dazu hat, einzelne Angelegenheiten tiefgehend zu studieren. Dadurch würde es dem Muslim dieser erwähnten Stufe zur Pflicht werden, den Belegen in dieser Frage zu folgen. In den verbleibenden Fragen könnte er weiterhin wie erwähnt sich seiner Rechtsschule anschließen, denn Allah belastet niemanden über das hinaus, was er zu leisten vermag. Es mag sein, dass es mehrere Monate bedarf, eine einzige Thematik zu studieren, bis man die für sich stärkeren Belege herausgesiebt hat, die einem Beruhigung verschaffen. Es besteht also kein Hindernis darin, dass man dabei bleibt, einem Rechtsgelehrten zu folgen bis man eine Thematik studieren konnte. Wenn man dabei vorfindet, dass die stärkeren Belege die eigene Rechtsschule unterstützen, dann verbleibt man bei dieser Ansicht und wenn nicht, dann wechselt man zu der Seite, welche die stärkeren Belege haben.1
SECHSTENS: Die Zusammenflickung (At-Talfieq – التلفيق) ist erlaubt
Der Begriff At-Talfieq kann neutral, im Sinne von Zusammenflickung, wie auch wertend, im Sinne von Verfälschung und Erdichtung Verwendung finden. Mit dem Begriff der Zusammenflickung ist in unserem Zusammenhang gemeint, dass man sich mehrerer Rechtsschulen in einer Angelegenheit bedient mit der Konsequenz, dass das daraus entstandene Endergebnis von keiner der einzelnen Rechtsschulen vertreten wird. Im Folgenden wollen wir die Thematik der Zusammenflickung zusammenfassen.
- Die Zusammenflickung in dem Sinne, dass man in einer Angelegenheit sich einer Rechtsschule bedient und in einer anderen Angelegenheit, welche nichts mit der vorherigen zu tun hat, von einer anderen Rechtsschule nimmt, wird von der Mehrheit der Gelehrten, welche es nicht als verpflichtend ansehen, dass man sich einer Rechtsschule anzuschließen hat und es erlauben, dass man zu einer anderen wechselt, als erlaubt angesehen. Beispiel: Jemand der nach der schafi’itschen Rechtsschule betet und die Zakah gemäß der hanafitischen Rechtsschule zahlt sowie nach der Maalikiyyah fastet.
- Die Zusammenflickung im dem Sinne, dass man in einer Angelegenheit einer Rechtsschule folgt und dann in dieser Frage zu einer anderen wechselt. Beispielsweise wie jemand, der gemäß einer Rechtsschule das Mittagsgebet betet und daraufhin das Nachmittagsgebet gemäß einer anderen Rechtsschule durchführt. Dies wird ebenfalls von der Mehrheit der Gelehrten, welche es nicht als verpflichtend ansehen, dass man sich einer Rechtsschule anzuschließen hat, als erlaubt angesehen.
- Die Zusammenflickung, bezüglich derer Meinungsverschiedenheit herrscht, ob sie erlaubt bzw. verboten ist, ist die Zusammenflickung innerhalb einer einzigen Angelegenheit. Als Beispiel möge hier dienen, dass man gemäß der schafi’itschen Rechtsschule nur einen geringen Teil des Kopfes bei der Gebetswaschung bestreicht und daraufhin seine Gebetswaschung nach der Berührung einer Frau als gültig ansieht, und zwar nach der hanafitischen sowie maalikitischen Rechtsschule. Die Späteren unter den Gelehrten der einzelnen Rechtsschulen meinen, dass die Gebetswaschung ungültig ist, da nach Imam Asch- Schaafi’i die Berührung einer Frau die Gebetswaschung ungültig macht nach Imam Abu Hanifa weniger als ein Viertel des Kopfes bestrichen wurde nach Imam Maalik nicht der ganze Kopf bestrichen wurde. Die Zusammenflickung führte hier also zu einem Bild, welches von keiner Rechtsschule zuvor bestätigt wurde, weswegen sie nicht erlaubt ist (nach dieser Ansicht).
- Wenn die Zusammenflickung auf Überzeugung gebaut ist, also jemand zu den Leuten des Einblicks in das betreffende islamrechtliche Urteil gehört, so ist die Zusammenflickung erlaubt. Dies gilt, da es das Recht derjenigen ist, welche diese Stufe innehaben, für sich selbst nach getaner Anstrengung zu entscheiden. Wir gehen davon aus, dass dies nicht umstritten ist.
- Was die Zusammenflickung in Bezug auf den einfachen Muslim anbelangt, so ist sie auch erlaubt, denn die Rechtsschule des einfachen Muslims ist die Rechtsschule desjenigen, den er fragt. Es ist dem einfachen Muslims nicht aufgebürdet, dass er jede Angelegenheit des islamischen Rechts studiert und jede Meinungsverschiedenheiten versucht klug aufzulösen. Wenn er dazu fähig wäre, so würde er nicht mehr als einfacher Muslim gelten. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass die Prophetengefährten nicht nach allen zusammenhängenden Details fragten, als sie nach einer Angelegenheit fragten und die Befragten es ihnen auch nicht auferlegten, dass wenn sie ihnen in der Antwort folgen, es ihnen verboten ist, in zusammenhängenden Fragen andere aufzusuchen. Dies ist also auch der Beleg dafür, dass in der besten aller Generationen sich Zusammenflickung erreignete, denn die Rechtsauffassungen und Methodiken der Rechtsfindung der Prophetengefährten waren weder zusammengestellt noch niedergeschrieben. Jeder Muslim fragte denjenigen, den er von den Prophetengefährten traf und fragte daraufhin andere; und zwar ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob die beiden Fragen miteinander zusammenhingen oder nicht.
- Bezüglich der Zusammenflickung innerhalb einer einzigen Angelegenheit: Die Gebetswaschung war gemäß Imam Asch- Schaafi’i gültig, also gemäß der Sicht der Scharia. Denn die schafi’itschen Rechtsschule ist keine unabhängige, eigenständige Scharia in dem Sinne, dass sie nur ein Tor ist, durch welches der Muslim zur Scharia Allahs hineintritt. Wenn er also durch dieses Tor schreitet, so befindet er sich in den Weiten der Gesetzgebung Allahs und seine Gebetswaschung ist gültig gemäß der Sicht der Gesetzgebung Allahs. Wenn er nun eine Frau berührt (nicht im übertragenen Sinne), dann ist seine Gebetswaschung nach Imam Abu Hanifa immer noch gültig, also gemäß des islamischen Rechts, denn die hanafitische Rechtsschule ist ein Teil bzw. ein Tor des islamischen Rechts und nicht etwas, was diesem zuwiderläuft.
- Wenn man nun behauptet, dass die Zusammenflickung aufgebaut auf der Überzeugung von Belegen (für diejenigen, welche zu dieser Überzeugung fähig sind) erlaubt ist und gleichzeitig es dem einfachen Muslim verbietet, würde das bedeuten, dass ein und dieselbe Sache für den einen erlaubt und für den anderen verboten wäre. Dies ist jedoch bezogen auf das islamische Recht nicht korrekt, da es bekannterweise zu seinen Eigenschaften zählt, dass es allgemeingültig ist. Das Erlaubte in ihm ist also erlaubt für alle, wie auch das Verbotene in ihm für alle verboten ist.
- Zu den Gelehrten, welche das Erlaubtsein der Zusammenflickung sahen, gehören At- Tarsuusiy الطرسوسي, Abu As- Suuud أبو السعود, Ibn Nadschiem ابن نجيم, Abu Arafah Al- Maalikiy ابن عرفة المالكي sowie Al-Adawiy العدوي.2
SIEBTENS: Das Zusammenflicken um Erleichterungen herauszusuchen
Es mag sein, dass es unter Muslimen solche gibt, welche sich nur Erleichterungen und ungewöhnliche Aussagen der Gelehrten unter den Rechtsschulen bzw Rechtsgelehrten herauspicken wollen um an Erleichterungen zu kommen, welche ihnen so eigentlich nicht zustehen oder aber eben aus Spielerei heraus. Kann dies erlaubt sein? Die Mehrheit der Gelehrten lehnt diese Art von Zusammenflickung ab, da sie sich nach den Gelüsten richten würde, etwas, was im Islam verboten wurde. Ibn Abd Al- Barr ابن عبد البر überlieferte diesbezüglich zwar einen Konsens unter den Gelehrten bezüglich des Verbots dieser Art von Zusammenflickung, jedoch besteht dieser Konsens in Wirklichkeit nicht. Einige Gelehrten sprachen davon, dass es erlaubt ist, sich unter den Rechtsschulen das jeweils Einfachere herauszusuchen, da es nichts im islamischen Recht geben würde, was dies wirklich verbieten täte. Kamal ibn Hammaam الكمال بن الهمام sagt in seinem Buch At- Tahrier التحرير aus:
Der Befolgende mag demjenigen folgen, dem er folgen möchte, auch wenn der einfache Muslim sich die Aussagen unter den Gelehrten aussucht, welche ihm am Angenehmsten sind. Ich kenne keine Argumente, weder logischer noch religiöser Natur, welche dies verbieten. Die Tatsache, dass ein Mensch dem Einfacheren von den Aussagen der kompetenten Rechtsgelehrten folgt, ist aus meiner Sicht nicht sündhaft. Weiterhin liebte der Prophet (saw) die Erleichterung für seine Ummah.“
Meiner Auffassung nach besteht kein Unterschied innerhalb der islamrechtlichen Urteile was Erleichterndes oder Erschwerendes anbetrifft, solange die islamrechtlichen Urteile eine korrekte Beweisführung haben. Wenn die Zusammenflickung im Grunde genommen erlaubt ist, so ist sie es auch in Bezug auf die Zusammenflickung bestehend aus Erleichterungen, solange diese ihre Beweise haben. Wenn allerdings keine Notwendigkeit oder Entschuldigung dafür besteht, so möge hier angeführt werden, dass dies unerwünscht (makruuh) ist. Wenn hingegen Notwendigkeit oder Entschuldigung besteht, so ist dies erlaubt, ohne Anteile der Unerwünschtheit. Denn vom Propheten (saw) ist bekannt, dass er „nie zwischen Angelegenheiten auswählte, ohne die leichtere ausgewählt zu haben, solange keine Sündhaftigkeit bestand.3 “ Dieser Grundsatz gilt, da es dem Muslim grundsätzlich offensteht, zwischen den einzelnen Meinungen der Rechtsgelehrten auszuwählen und sich innerhalb dieser Meinungen – InshaAllah – keine Sünde befindet. Die Zusammenflickung, wie wir an dieser Stelle festhalten wollen, findet nur in den Angelegenheiten des Idschtihaads statt. Im Bereich der Grundfeste der Religion, der bereits deutlich entschiedenen Angelegenheiten, gibt es weder Zusammenflickung noch Erleichterungen. Auch ist hinzuzufügen, dass wenn Zusammenflickung oder Befolgung von Erleichterungen zu etwas Verbotenem führt, sie ebenfalls verboten ist. Dinge wie das Trinken von Alkohol oder Unzucht können niemals erlaubt werden, nicht durch Zusammenflickung und nicht durch Erleichterungen. Und Gott allein weiß es besser und ist über sämtliche Mängel erhaben! Quelle: Schaikh Faisal Maulawi (r): Taysier Fiqh Al Ibadaat, Mit unwesentlichen stilistischen Änderungen und Kürzungen von Mohammed Johari im Herbst 2011 übersetzt. Zuerst veröffentlich auf www.iisev.de. Scheich Feisal Maulawi war einst religiöses Oberhaupt der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Europa und ehemals Berater im obersten Schariagericht der Sunniten in Beirut/Libanon.
- Siehe das Buch At- Tahrier von Kamal ibn Hammaam, Al-Ahkaam fie Usuul Al-Ahkaam von Al. Aamidiy und Qawaa-id Al- Ahkaam (Regeln der Urteile) von Al- Iss ibn Abdussalaam, sowie weitere Usuul- Bücher [↩]
- Siehe das Buch Usuul- Al- Fiqh von Wahbah As- Sahieliy. [↩]
- In verschiedenen Versionen zu finden bei Bukhari, Muslim, Ahmad, Al- Muwattaa‘ [↩]