Allah Der Allwissende verwendet das Verb des Fatwa-Gebens in Bezug auf Sich selbst; die Fatwa ist eine sensible Angelegenheit, der sich nur Fähige widmen dürfen:
يَسْتَفْتُونَكَ قُلْ اللَّهُ يُفْتِيكُمْ فِي الْكَلالَةِ إِنْ امْرُؤٌ هَلَكَ لَيْسَ لَهُ وَلَدٌ وَلَهُ أُخْتٌ فَلَهَا نِصْفُ مَا تَرَكَ وَهُوَ يَرِثُهَا إِنْ لَمْ يَكُنْ لَهَا وَلَدٌ فَإِنْ كَانَتَا اثْنَتَيْنِ فَلَهُمَا الثُّلُثَانِ مِمَّا تَرَكَ وَإِنْ كَانُوا إِخْوَةً رِجَالاً وَنِسَاءً فَلِلذَّكَرِ مِثْلُ حَظِّ الأُنثَيَيْنِ يُبَيِّنُ اللَّهُ لَكُمْ أَنْ تَضِلُّوا وَاللَّهُ بِكُلِّ شَيْءٍ عَلِيمٌ
Sie fragen dich um Belehrung. Sag: „Allah belehrt euch über den Erbanteil seitlicher Verwandtschaft. Wenn ein Mann umkommt, der keine Kinder hat, aber eine Schwester, dann steht ihr die Hälfte dessen zu, was er hinterlässt. Und er beerbt sie, wenn sie keine Kinder hat. Und wenn es zwei (Schwestern) sind, stehen ihnen (beiden) zwei Drittel dessen zu, was er hinterlässt. Und wenn es Geschwister sind, Männer und Frauen, dann kommt einem männlichen Geschlechts ebensoviel zu wie der Anteil von zwei weiblichen Geschlechts. Allah gibt euch Klarheit, damit ihr (nicht) in die Irre geht. Allah weiß über alles Bescheid.“ (4:176)
Ibn Al-Qayyim – möge Allah sich seiner erbarmen! – definierte den Mufti, also den Fatwa-Gebenden, als Unterzeichner im Namen Allahs, also jemand, der Allahs Willen in einer Angelegenheit verkündet. Andere Gelehrte beschreiben den Mufti als den Übersetzer Allahs, da der Mufti die Intention des Schöpfers für diejenigen übersetzt, welche die Urquellen nicht auszulegen vermögen. Widmen wir uns nun einigen unabdinglichen Qualifikationen eines Muftis:
(1) Die Quranbewahrung
Nach der Mehrheit der Gelehrten muss ein Mufti den Quran auswendig können, nach anderen mindestens die Verse, welche die Rechtsprechung (alle Aufforderungen, Gebote, Verbote etc.) betreffen. Diese beziffern sich nach einer Auffassung auf ca. 500. Ein Argument, welches die Mehrheit stützt, ist, dass es Passagen im Quran gibt bzw. geben kann, die nicht direkt eine Aufforderung aussprechen, jedoch trotzdem Gebote beinhalten bzw. wegweisend sein können. Beispielsweise schlägt sich Yusuf – möge Allah ihm Frieden schenken! – selbst für einen Posten vor:
Er sagte: `Setze mich über die Vorratskammern des Landes ein; ich bin ein kenntnisreicher Hüter.`“ (12:55)
(2) Das Beherrschen der arabischen Sprache
Denn es ist letztlich die Sprache des Qurans und der Sunna, die sprachwissenschaftlich verstanden werden muss, damit man Ge- und Verbote aus ihr korrekterweise ableitet.
(3) Die Kenntnis der Sunna
Die Mindestzahl, die von einigen Gelehrten erwähnt wurde, ist, dass 3000 Hadithe beherrscht sein müssen, die relevant für die Rechtsprechung sind.
(4) Alle Angelegenheiten, bezüglich derer Konsens herrscht, müssen bekannt sein
Ansonsten rollt man Fälle neu auf, die bereits eindeutig per Konsens der Gelehrten abgeschlossen wurden. Umgekehrt muss man Kenntnisse darüber haben, wann es bloß eine Behauptung ist, dass Konsens in einer Frage herrscht. Hierzu kann man den behaupteten Konsens anführen, dass die ersten Generationen sichere Berechnungen als Mittel zur Feststellung des Ramadans ablehnten: Mehr dazu in: https://www.monajo.de/wp-content/uploads/2014/06/Ramadan_Sichtung_Berechnung.pdf Ein Ausschnitt daraus: Die Berechnung der Phasen des Mondes im Speziellen und die Beschäftigung mit den Stationen der Himmelskörper im Allgemeinen wurden von den Gelehrten der Vergangenheit wie folgt wahrgenommen:
- Die Sichtung der Mondsichel sei genauer als die Berechnung, wie u.a. Abū Bakr al-Ǧaṣṣāṣ (g.. 370 n. H.) konstatierte. Ibn Taymīya (661n.H. – 728 n.H.) erklärte damals, dass sich die „weisen Astronomen“ einig sind, dass die Mondsichel nicht berechnet werden kann sowie das die Berechnungen keine seien sondern auf Lug und Betrug gegründet wären. Auch Ibn Bazīzah (gest. vor dem Jahre 851 n.H.) stellte für die damalige Zeit fest, dass Sternenberechnungen bloßes Mutmaßen und folglich ungenauer als die Sichtung sind.
Heutzutage ist es genau umgekehrt, Sichtungen, welche den Tatsachen widersprechen, werden zugelassen und die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten ermöglichen eine genaue Berechnung!
- Die Berechnung der Mondsichel gehe mit Erschwernis einher, wie u.a. die Großgelehrten Imam An- Nawawī , (g. 676 n. H.) und Az-Zurqānī , (gest. 1122 n. H.) wie auch al-Maʿzarī feststellten.
- Die Berechnung der Mondsichel gehe mit Magie einher, wie Ibn Ḥaǧar al- ʿAsqalānī , (gest. 1372 n. H.) As- Saraḫsī , und Ibn Taymīya darlegten.
Die damaligen Rechtsgelehrten und Ḥadīṯwissenschaftler haben also – wenn überhaupt – nur grobe Kenntnisse über Astronomie gehabt. Somit ist das Argument, dass unsere rechtschaffenen Vorfahren die Berechnung ablehnten aus dem Kontext gerissen, denn das, was die damaligen Großgelehrten unter Berechnung verstanden, kann man nicht mit der heutigen wirklichen Berechnung vergleichen.
(5) Die genaue Kenntnis der betreffenden Situation
In Ilam Al-Muwaqiien an Rabb Al-Aalamien hält Ibn Al-Qayyim fest, dass ein Mufti keine Fatwa aussprechen kann, außer er kennt die betreffende Situation des Fragenden und die anzuwenden Texte aus dem Quran und der Sunna. Weiterhin sagte Ibn Al- Qayyim, dass das Situationsverständnis die Hälfte des Fiqh ist. Beispiel aus der heutigen Zeit: So manche Gelehrte, welche Deutschland im Sommer besuchen, sind irritiert, dass einige Moscheen das Abendgebet mit dem Nachtgebet zusammenfassen und halten dies im ersten Augenblick für nicht statthaft. Wenn sie dann einige Tage verbleiben und die Lebensrealität der Menschen kennenlernen, verstehen sie die Berechtigung für diese, aufgrund von Erschwernis und Erschöpfung die nächtlichen Gebete zusammen zu fassen. Vorher kannten sie jedoch weder die Situation, noch die Konsequenzen der einzelnen Auffassungen. Mehr zu diesem Beispiel: https://www.monajo.de/2014/01/zusammenfassung-der-gebete-im-sommer/
(6) Zielsetzungen der Scharia müssen bekannt sein.
Beispiel: Die Entscheidung einiger Prophetengefährten, den Wert und nicht die Form der Zakat- Al- Fitr zu berücksichtigen. Dazu gelangten sie nicht, weil sie dem Propheten (saw) oberflächlich buchstäblich folgten, sondern den Sinn und die Zielsetzungen seine Worte umsetzten. Mehr zu diesem Beispiel: https://www.monajo.de/2014/07/ueber-hoehe-form-und-zeitpunkt-der-zakat-al-fi%e1%b9%adr/
(7) Die Konsequenzen der Entscheidung müssen bekannt sein.
Beispiele:
- Die Entscheidung des Propheten (saw), solche, die Hochverrat begangen haben, nicht zu exekutieren, aus Angst davor, dass die Araber sagen würden, „Muhammad (saw) tötet seine Gefährten.“
- Die Entscheidung des Propheten (saw), am Grabe Abdullah ibn Ubays für diesen zu beten – trotz seiner offenkundigen Heuchelei, da ihm dies bis zum damaligen Zeitpunkt nicht verboten wurde. Der Prophet (saw) wollte dies als Zeichen seiner Großzügigkeit denen gegenüber statuieren, die sich ihm noch nicht angeschlossen hatten.
- Ibn Zubair (ra) wollte die Kaaba gemäß den Wünschen des Propheten Muhammad (saw) umbauen, auf den Fundamenten Ibrahims (as). Ibn Zubair (ra) sagte: „Ich hörte A’isha (ra) sagen: `Der Prophet (saw) sagte: `Wenn ich nicht befürchten würde, dass dein Volk erst kürzlich die Zeit der Unwissenheit verlassen hat und ich genügend Mittel hätte, so hätte ich dem Bau der Kaaba vom Hijr aus hinzugefügt. Auch würde ich zwei Türen machen, eine für das Eintreten der Leute und die anderen zum Hinausgehen.`“ (Bukhari) Ibn Zubair (ra) fügte hinzu: Heute kann ich es mir leisten und ich fürchte die Menschen nicht.“
- Umars (ra) – möge Allah mit ihm zufrieden sein! – Entscheidung, Prophetengefährten aufzufordern, sich von ihren Frauen zu scheiden, welche Schriftanhängerinnen sind, aufgrund der Konsequenzen dieser Ehen.
(8) Kenntnis über die verschiedenen Auffassungen der Gelehrten zu einer Angelegenheit
Dies verschafft mehr Raum in Ermessensangelegenheiten und verhindert so unnötige Erschwernis. Beispiel: Angelegenheiten der Scheidung nicht nach den vier Rechtschulen zu beurteilen um Familien nicht unnötig auseinanderzureißen. Hier sei Folgendes erwähnt:
- die Frage nach der Gültigkeit der dreifachen Scheidung innerhalb einer Sitzung
- die Frage nach der Gültigkeit der Scheidung im absichtsändernden Wutzustand
- die Frage nach der Gültigkeit der Scheidung innerhalb der Monatsregel der Frau
- die Frage nach der Gültigkeit der Scheidung außerhalb der Monatsregel der Frau, jedoch nach Vollzug von Intimitäten
- die Frage nach der Gültigkeit der Scheidung, welche an eine Bedingung geknüpft wurde
(9) Rechtschaffene Lebensführung und Gottesfurcht
Die Vertrauenswürdigkeit ist allein schon bei einfachen Zeugenaussagen vorausgesetzt. Fazit: Nach dieser Lektüre wird wohl vielen von uns klar, dass ein guter Prediger sein das eine ist, aber Fatwa erteilen etwas anderes! Als Abschluss dazu noch die Geschichte von denjenigen, die nicht zwischen einem Asketen und einem Mufti unterscheiden konnten und welche Folgen dies für den Asketen hatte, der ebenfalls den Unterschied nicht kannte: Der Prophet (saw) berichtet:
Ein Mann tötete 99 Menschen. Er vergoss also dieses zu schützende Blut auf illegale Weise. Dann wollte er sich reuig Allâh zuwenden. Er wollte zu seinem Herrn zurückkehren, nachdem er all diese Menschen getötet hatte. Er begab sich also zu einem Mönch, der trotz seiner Anbetung wenig Wissen hatte, und sagte zu ihm: »Ich will mich reuig Allâh zuwenden, nachdem ich 99 Menschen unrechtmäßig getötet habe.« Der Mönch sagte zu ihm: »Allâh wird deine Reue nicht annehmen.« Der Mann tötete ihn auch und vervollständigte damit die Zahl seiner Opfer auf hundert. Er fragte jedoch weiterhin danach und fragte sich, ob Allâh seine Reue annehme. Daher fragte er nach dem gelehrtesten Menschen. So ging er zu einem gelehrten Mann, der seine Religion gut verstand. Er fragte ihn und dieser Mann sagte zu ihm: »Nichts kann dich an der Reue hindern.« Er forderte ihn also zur Reue auf und ermutigte ihn dazu. Dann forderte er ihn auf sein Dorf, in dem er sich befand, zu verlassen, denn es war ein Dorf voller Unmoral, und zu einer anderen Ortschaft aufzubrechen, in der es gute und wohltätige Leute gab, damit er mit ihnen Allâh anbetend dient und damit sie ihm beim anbetenden Dienen gegenüber Allâh helfen. Er zog sofort aus ohne sich Zeit zum Kämmen zu nehmen und beabsichtigte das Ehren Allâhs, doch ereilte ihn der Tod in der Mitte des Weges und er fiel tot zu Boden. Dann ließ Allâh der majestätisch Hocherhabene Seine Engel ob dieser bedeutsamen Angelegenheit auf die Erde hinabkommen. Der Plagenengel wollte diesen anbetend Dienenden, der das zu schützende Blut vergossen hatte, zu sich nehmen. Die Gnadenengel wollten indes die Verwahrung der Seele dieses reumütigen anbetend Dienenden übernehmen, der sich reuig Allâh zugewandt hatte. Nun entstand ein Streit zwischen ihnen darüber. Daraufhin sandte Allâh der majestätisch Hocherhabene einen Engel in Menschengestalt, damit er als Richter zwischen ihnen schlichte. Er sagte zu ihnen: »Messt die Entfernung zwischen ihm und seiner schlimmen Ortschaft und zwischen ihm und der guten Ortschaft, zu der er ausziehen wollte! Welcher Ortschaft er näher ist, zu der soll er gehören.« Sie führten also die Messung durch und fanden, dass er der Gutes tuenden Ortschaft näher war. Alsdann vergab ihm Allâh und ließ ihn das Paradies betreten.“ ( Al-Buchârî und Muslim)